Die Figur des Klassenlehrers, die des Professors Kantoreks ist im Roman Im Westen nicht Neues von Erich Maria Remarque zwar nur eine Randfigur, aber einer der wichtigsten überhaupt. Denn er ist im Grunde die Reinkarnation des Mephistopheles, die des hemmungslosen Verführers, welcher an der Spitze eines schon seit Jahrhunderten existierenden Verführungsmechanismus steht und gewissenlos seines Amtes waltet. Es ist die perfide Kombination bestehend aus einerseits schon allzu indoktrinierten Eltern, verblendet in ihrem absolutistischem Fanatismus, Aberglauben an die Kirche und letztendlich einer schulischen Ausbildung, welche Kindern das schon zuvor gehörte, erlernte, nochmals mit äußerster Vehemenz einprägte: Für Kaiser, Gott und Vaterland.
In „Die Waffen nieder“ beschreibt Bertha von Suttner dieses System der ewigen Verführung, hin zur stetigen Gewaltbereitschaft, bereits schon im 19ten Jhdt. äußerst entlarvend: Den Jungen wird Zeit ihres schon jungen Lebens stets eingeprägt es gäbe nichts ehrenvolleres als den Heldentod, nichts heroischeres als sein Leben für das Vaterland zu geben – den Mädchen stets mit auf den Weg gegeben, es gäbe nichts erstrebenswerteres, als einen Soldaten, am besten einen ambitionierten Offizier zu heiraten um möglichst viele weitere, kommende Soldaten zu zeugen. Und es sollte sie ebenso mit Stolz erfüllen und dieser eben nicht von unnötig allzu langer andauernder Trauer aufgezehrt werden, wenn nicht nur ihr Mann, sondern auch ihre Kinder allesamt auf dem Feld der Ehre ihr Leben lassen durften: Für Kaiser, Gott und Vaterland.
Professor Kantorek hält somit vor seinen Schülern eine äußert flammende Rede um weitere Freiwillige, möglichst gleich seine gesamte Klasse für das letzte Aufbegehren der Nation, den letzten einen großen Krieg zu mobilisieren – lamentiert von eiserner Jugend, von strahlenden Helden und dem Ruf des Vaterlandes. Doch als seine Schulklasse nicht gleich in nationaler Begeisterung aufgehen will zitiert er in Richtung Paul Bäumer, seinem Klassenprimus (in der Filmumsetzung von 1930), den lateinischen Satz: Dulce et decorum est pro patria mori, vermutlich nach Horaz (65 – 8 v. Chr.), Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben. Erst als Paul selber vor der Klasse, nicht sonderlich begeistert, aber dennoch kurz und knapp zusagt: ich bin dabei, geraten allesamt in den von Professor Kantorek erhofften kollegialem, nationalen Taumel. Nur Josef Behm nicht. Er ist ein wenig dicklich, eher gemütlich und so gar nicht auf vermeintliche Abenteuer aus. Doch am Ende gibt auch er dem Druck der nun allgemein euphorischen Stimmung, den jetzt recht kriegslüsternden Schulkameraden nach, weil auch er nicht als feige gelten will. Er ist dann allerdings auch einer der ersten, der an der Westfront fällt und somit keine zwanzig Jahre alt wurde.
Faktisch sind nun alle von mir angedachten, die wichtigsten Protagonisten des Romans Im Westen nicht Neues fertig gezeichnet und durchaus angemessen in Szene gesetzt, wie ich finde. Natürlich fehlt in dieser Reihe noch Himmelstoß, der zur Zeit im Erich Maria Remarque Friedenszentrum in Osnabrück zu sehen sein könnte, wenn es denn geöffnet sein dürfte. Doch im Moment sieht es nicht gut aus – für die Kultur.