Herbstmilch ist der Titel der autobiografischen Erzählung Anna Wimschneiders (* 1919- † 1993), welche vom harten Alltag und Leben einer bayrischen Bauerntochter erzählt. Die 1985, in nur vier Wochen, lediglich in zwei Schulhefte handschriftlich verfassten, eigentlich auch nur für die Familie gedachten und hier notierten Erinnerungen, gelangten nun, wie durch einen zufälligen Zufall, in die Hände des Pieper-Verlages, welcher mit Vehemenz darauf drängte, das kaum leserliche Manuskript als Buch zu veröffentlichen.
Ein Märchen wurde wahr – Die Lebensgeschichte einer bisher völlig unbekannten Frau zählt bis heute als einer der größten kommerziellen Erfolge des deutschen Buchhandels überhaupt und wurde 1988 von Joseph Vilsmaier sogar aufwendig und ebenfalls mit großem Erfolg verfilmt. Das handschriftliche original Manuskript der Anna Wimschneider wird heute in der bayrischen Staatsbibliothek aufbewahrt.
Die erst achtjährige Anna, eines von neun Kindern, muss selbst schon die Pflichten einer Bäuerin mit übernehmen. Eine wirkliche Kindheit gibt es für sie somit nicht. Und auch herangewachsen zur jungen Frau, bleibt Anna kein Raum für Eitelkeiten oder Träumereien, denn der Alltag folgt den Gesetzen reiner Notwendigkeiten: Aufstehen mit den Tieren, um sie zu versorgen, dann ab aufs Feld, um zu säen oder um die Ernte einzubringen und am Abend, schnell noch die Kühe melkend, früh ins Bett, wenn die Sonne ihren alltäglichen Dienst verrichtet hatte. Und hier auf dem Land ist die Industrialisierung auch noch längst nicht angekommen. Denn während man schon wieder zum erneuten Krieg rüstet, modernste Panzer- und Flugzeugkonstruktionen auf ihren kommenden Einsatz warten, spannt Anna noch eigens den Ochsen vor den Pflug, weil sich keiner einen Traktor leisten kann.
In kleinsten Wohnraumverhältnissen des Hofes lebend, teilten sich damals in der Regel ganze Großfamilien ihre Schlafmöglichkeiten. Denn Kinderreichtum galt einst im streng katholischen Bayern als Segen und jeder weitere Säugling auch als willkommene, weitere helfende Hand auf dem Feld. Und keiner wäre auch je auf die Idee gekommen, die Oma und den Opa, nach getaner Lebensleistung, in ein Altersheim geben zu müssen, denn auch diese Institution war damals auf dem Lande noch keine allzu bekannte Option. Somit versammelten sich in der kleinen Stube, in der gemeinschaftlich gegessen und gelebt wurde, gleich mehrere Generationen – die einen, den Tag rein wartend auf die nächste Mahlzeit verbringend, die anderen, völlig erschöpft von der Mühsal des Tages, ohne jede Möglichkeit der individuellen Zerstreuung, wie Zeitung, Bücher, Funk und Fernsehen. Und selbst wenn man dann mal, endlich im Bett liegend, wirklich ein Buch in die Hand nahm, fielen einem wohl auch gleich die Augen zu, wohlwissend um 4 Uhr morgens wieder aufzustehen, erneut in den Stall, zu den Tieren zu müssen.
Die wenigen Freuden im Jahr bescherten der damaligen Landbevölkerung einst die alljährlichen Dorffeste, dass gemeinsame Feiern, Essen, Trinken und Tanzen, mit all den Bauern und Bäuerinnen, deren Kindern und Kindeskindern, welche dann von all den umliegenden Höfen herbei strömten. Solch bäuerliche Zusammenkunft war allerdings auch Schmelztiegel für den neuesten Klatsch und Tratsch, aber vor allem auch Heiratsmarkt. Denn nur hier und jetzt hatte eine junge Frau die Chance von heiratswilligen Männern wahrgenommen zu werden. Selbst wenn man es damals einer jungen Frau gestattet hätte, was sowieso undenkbar gewesen wäre, mal auf ein Bier, ein Glas Wein oder zum Tanz ausgehen zu wollen, diese Möglichkeiten gab es dort damals ganz einfach nicht.
Und so lernt Anna ihren kommenden Ehemann auch auf einem Dorffest kennen, tauscht, wenn auch beide wirklich ineinander recht verliebt, im Grunde den einen Moloch gegen einen anderen, aber einen mit noch mehr Verantwortung für sie selber. Denn sie ist ab jetzt nicht nur eine von vielen helfenden Händen auf dem väterlichen Hof, Anna ist jetzt erste Bäuerin auf dem Anwesen ihres Mannes und ihr größter Feind nun nicht mehr nur Wind und Wetter, sondern die eigene Schwiegermutter. Als ihr Mann dann auch noch über Jahre fernab des Hofes Kriegsdienst leisten muss, man als Leser somit schon befürchten muss, dass dieser nie wieder heimkehren, sich beide Frauen wohl am Ende auch noch gegenseitig umbringen werden würden, hat diese Erzählung dann doch ein Happy End. Musste diese ja wohl auch haben, denn ansonsten gäbe es diese Erinnerungen so nicht.
Anders als andere bedeutende Erzählungen, von ähnlicher Zeit berichtend, an ein ähnliches Milieu erinnernd, zumindest was die filmische Umsetzung angeht, wie z.B. der großartige Kinofilm Das Weiße Band (Michael Haneke) oder die überaus eindringliche Fernsehserie Heimat von Edgar Reitz, bewahrt sich Herbstmilch aber immer, egal wie schwer das alltägliche Mühsal dann am Ende auch war, immer auch den Glauben an ein Stück Glück – wenn auch nur im kleinen Rahmen, immer bescheiden bleibend und wohlwollend rückblickend, selbst auf die schwersten Zeiten. Aber vielleicht liegt genau darin der große Erfolg dieser im Grunde recht einfachen, aber eben auch mehr als ehrlichen Erzählung.
Bleistift, Farbstift, Aquarell
Wvz. 5259
Format: 500 x 350 mm
Februar 2021
Als Herbstmilch, der Buchtitel dieser Erinnerungen, beschrieb man einst sauer gewordene Milch, welche die Bauern am Markt nicht mehr verkaufen konnten und somit nur noch in Eigenverwendung von Nutzen war. Die sogenannte Herbstmilchsuppe, geboren aus Not und Elend, gilt heute als eine typisch bayrische Delikatesse.
Wikipedia bringt es wie immer auf den Punkt: Die Milch wurde sauer, nahm eine dicke Konsistenz an und wurde somit über den Winter haltbar. Die oberste gegorene Schicht wurde zeitweise abgenommen und durch frische oder gestockte Milch ersetzt, die wieder untergerührt wurde. Die Bäuerinnen gaben auch Weinbeeren dazu, um die Gärung zu fördern und den sauren Geschmack zu mildern. Die gestockte Milch wurde mit Mehl verrührt, in kochendes Wasser gegeben und gesalzen. Seltener wurde anstatt Sauermilch auch Vollmilch, Schotten oder Buttermilch verwendet. Wer es sich leisten konnte, verfeinerte die Suppe noch mit Rahm. Die Suppe wurde heiß oder kalt als Frühstück und als Abendbrot gegessen. Meist fügte man noch Kartoffeln oder Brot hinzu.